Wer heutzutage kein Tattoo hat, scheint eine Ausnahme zu sein. Das Straßenbild ist voll von illustrierten Armen, Beinen, Hälsen und manchmal sogar Gesichtern. Das Tattoo ist nicht mehr nur ein rebellischer Ausdruck, sondern vielmehr ein modisches Accessoire. Doch sie ist viel mehr als eine dauerhafte Tuschezeichnung: Sie ist kulturelles Erbe. Die reiche Geschichte dieser Körperkunst steht im Mittelpunkt der Ausstellung Tattoo im Forum Groningen. Eine einzigartige Kombination aus Geschichtsunterricht, Kunstausstellung und Inspiration.
Text und Fotografie: Annika Hoogeveen
Tätowierungen sind fast so alt wie die Menschheit selbst. So hatte die berühmte Eismumie Ötzi mehrere Tätowierungen, die vermutlich zur Schmerzlinderung dienten, ähnlich wie bei der Akupunktur. Im alten Ägypten waren Tätowierungen sowohl dekorativ als auch schützend. Manchmal wurde sogar die Asche der Vorfahren in die frischen Hautwunden gerieben, als eine Form der spirituellen Bindung.
Der letzte Halt
Die Ausstellung im Forum Groningen ist die jüngste Ausgabe einer Wanderausstellung, die vor zehn Jahren im Pariser Musée du quai Branly begann und seither mehr als drei Millionen Besucher angezogen hat. Der Höhepunkt dieser Ausgabe war die Tattoo-Convention. Tattoo-Ikone Henk Schiffmacher ist einer der größten Leihgeber. Gemeinsam mit ihm schlendere ich durch die Ausstellung, zu der auch eine Nachbildung seines berühmten Tattoo-Shops gehört. Weitere Besonderheiten: eine Delfter Ruhmeshalle der Tätowierer, schöne Drucke und ein Kuriositätenkabinett mit von Hieronymus Bosch inspirierten Tätowierungen - auf Schweinefüßen, wie es scheint.
Hunebed-Ärmel
Schiffmacher hat speziell für diese Ausstellung eine neue Hülle entworfen, die von den Hünenbettbauern von Drenthe und der Trichterbecherkultur inspiriert ist. Der Entwurf wurde durch ein Erbstück inspiriert: eine Urne mit geheimnisvollen Zeichen auf der Außenseite. Diese Symbole bildeten die Grundlage für die kraftvolle, grafische Tätowierung. Das Design erwies sich als beliebt: Schiffmacher erhielt bereits unzählige Anfragen für diese Tätowierung. Er versteht das, denn es verweist auf ein stolzes Stück niederländischer Geschichte, das nicht so belastet ist wie beispielsweise das 'Goldene Zeitalter'.
Das Erbe bewahren
Die Bewahrung dieser Art von kulturellem Erbe ist unerlässlich. Im 20. Jahrhundert kam eine Diskussion über die Ausstellung menschlicher Überreste auf. Seitdem werden Tätowierungen auf Silikonkörperteilen konserviert. Das ist nicht einfach, sagt Schiffmacher: Es erfordert Technik, um die Tätowierung schön und ohne schwarze Flecken zu übertragen. Babyöl zum Beispiel funktioniert besser als Vaseline. Die Silikongliedmaßen - wie ein beeindruckend großes Bein, das einem französischen Spender nachempfunden ist - werden in Holzkisten geliefert. Auf dem Rücken befindet sich eine detaillierte Abbildung von Jesus. Schon während des Tätowierens hat Schiffmacher Ideen für den nächsten Entwurf. Die Arbeit mit Silikon macht ihm fast so viel Spaß wie die Arbeit mit echter Haut.
Tinte als Kommunikation
Bereut er einige der Tattoos? "Ich bereue nichts", sagt Schiffmacher entschieden. Natürlich sind manche Tattoos besser geworden als andere, aber wer Zweifel hat oder wankelmütig ist, sollte sich einfach nicht darauf einlassen. Zum Tätowieren gehört auch ein bisschen Rebellion. Er erinnert sich an eine Frau mit "Victor" auf ihrem Körper. Nach einer gescheiterten Beziehung änderte sie es in 'Victory'. Das erinnert an Johnny Depps berühmtes 'Winona Forever'-Tattoo, das in 'Wino Forever' geändert wurde. Für Depp sind Tattoos eine Art Tagebuch: kein Text auf Papier, sondern Tinte auf der Haut.
Für Schiffmacher war eine Tätowierung schon immer eine Form der Kommunikation. Eine Botschaft auf der Haut. In vielen Kulturen sind Narben oder Tattoos Symbole des Übergangs, des Schutzes oder der Spiritualität. In Thailand zum Beispiel ist das Sak Yant eine magische Tätowierung mit Ritualen, die mit Bambusstock oder Nadel durchgeführt wird und vor Krankheiten schützen oder spirituellen Kontakt herstellen soll.
Dunkle Geschichte
Aber die Geschichte der Tätowierungen hat auch dunkle Seiten. Von tätowierten Völkern, die als Kuriositäten nach Europa gebracht wurden, bis hin zur Entmenschlichung in Konzentrationslagern, wo Menschen buchstäblich eine Nummer verpasst wurde. Die Tätowierung als Strafe, Brandmal oder Demütigung.
Ausstellung als Zeitkapsel
Die Ausstellung im Forum Groningen bietet einen faszinierenden Überblick. Von einer Buddha-Statue mit den Überresten eines Verbrechers bis hin zu einem kompletten Yakuza-Bodysuit. Die tätowierten Silikonglieder - darunter eines mit einem beeindruckenden Oktopus - sind wahre Kunstwerke. Filme über das Sak Yant und andere Rituale liefern den Kontext. Die farbenfrohen Wandmalereien schaffen Atmosphäre und verstärken das Gefühl der Ruhe. Die Sammlung umfasst auch historische Bücher, Druckstempel und religiöse Bilder - bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass diese Form des Körperschmucks ursprünglich von der Kirche verboten war. Während die Römer beschrieben, wie nordeuropäische Stämme ihre Körper mit farbigen Mustern schmückten, galt dies den Christen als heidnisch. Die Tätowierung als Spiegel von Werten und Zeitgeist.
Reflexion über das Jetzt
Was sagt das über unsere Zeit aus? Nach Ansicht von Schiffmacher ist sie völlig überdreht. Tätowierungen sind modisch geworden, manchmal bedeutungslos. Es laufen Leute herum, die eigentlich keine Tattoos haben sollten. Von clownesken Augenbrauen bis zu lila Sommersprossen - selbst das Tätowieren selbst ist klinisch geworden. Das Abenteuer ist out. Die Geschichte verschwindet. Aber wie immer wird sich diese Mode eines Tages umkehren. Und dann? Dann bleibt der tätowierte Rebell.
Tattoo-Konvention
Am Eröffnungswochenende fand eine internationale Tattoo-Convention statt, die von Schiffmacher selbst organisiert wurde. Vierzig Künstler aus der Weltspitze versammelten sich in Groningen - größtenteils bereits ausgebucht. Von traditionellen Techniken mit (Bambus-)Stäbchen bis hin zu Maschinennadeln war alles dabei. Und Schiffmacher, der Maschinentätowierer schlechthin, schaffte es wieder einmal, viele Menschen mit einem originalen 'Schiffmacher' glücklich zu machen.
TATTOO ist noch bis zum 4. Januar 2026 zu sehen unter Forum Groningen.