Wenn Sie an hochwertige Uhren denken, fällt Ihnen wahrscheinlich zuerst die Schweiz ein. Aber wussten Sie, dass die Schweizer gar nicht die Wiege dessen waren, was wir heute "Haute Horlogerie" nennen? Es waren die Franzosen! Willkommen bei der Renaissance der französischen Uhren!
Text: Alon Ben Joseph
Hochwertige Zeitmessinstrumente, Komplikationen und Chronometer französischer Herkunft? Jawohl. Frankreich hat in der Vergangenheit eine große Bedeutung für Uhren, Taschen- und Armbanduhren gehabt. Vorbei der Ruhm, werden Sie denken. Aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Ganz im Gegenteil. Zeit also für eine kurze Geschichtsstunde, in der wir die Quarzkrise der 1970er Jahre Revue passieren lassen und dann einen langen Blick auf die Renaissance der französischen Uhrenindustrie werfen. Denn Mann oh Mann, was für coole Uhren sind in den letzten Jahren aus Frankreich gekommen, in jeder Preisklasse!
Einer der wichtigsten Erfinder der französischen Uhrenindustrie war Louis-Abraham Breguet
Ich habe eine Weile mit mir gerungen, wo ich diese kurze Geschichtsstunde über die französische Uhrenindustrie beginnen soll. Der Heureka-Moment kam, als ich meinen Briefkasten öffnete und eine Pressemitteilung der Marke Breguet entdeckte. Obwohl ich seit mehr als vier Jahrzehnten davon träume, eine Breguet in meine Privatsammlung aufzunehmen, und viele Bücher über diese berühmte Uhrenmanufaktur gelesen habe, vergesse ich immer wieder, dass Breguet ursprünglich gar nicht aus der Schweiz stammt.
Nein, es ist französisch. Und viele werden zustimmen, dass dieser Erfinder vieler mechanischer Wunderwerke, darunter natürlich das Tourbillon, einer der besten Uhrmacher aller Zeiten war. Heutzutage gibt es fast keine große Marke, die nicht irgendwann einmal "Breguet-Zeiger" oder "Breguet-Ziffern" (eine Schriftart) verwendet hat.
Die Franzosen waren also sehr wichtig für die Geschichte der Zeitmessung, die bis ins 12. Ihre Blütezeit erlebte die Branche jedoch im Paris des 17. Jahrhunderts und kam mit der Französischen Revolution im 18. Jahrhundert abrupt zum Erliegen. Die meisten französischen Uhrmachermeister flohen daraufhin in das französische Grenzdorf Besançon oder in die Schweiz. Fast zwei Jahrhunderte lang war Frankreich nach der Schweiz der zweitgrößte Hersteller von Zeitmessgeräten. Dies fand im 20. Jahrhundert ein jähes Ende. Zwei Weltkriege und die Quarzkrise in den 1970er Jahren hatten die französische Industrie dezimiert. Es gab keine französischen Uhrenhäuser mehr, die ihre eigenen mechanischen Zeitmesser entwarfen und herstellten.
Wir sind nun im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts angekommen und erleben eine echte Renaissance der französischen Uhrenhersteller. Darunter sind auch zwei Häuser, die tatsächlich ihre eigenen mechanischen Zeitmesser in Frankreich entwerfen und herstellen, d. h. echte "Manufakturen" sind. Leider gibt es (noch) keine festen Definitionen dafür, was eine Uhrenmarke wirklich französisch macht. Da der Chefredakteur mir nicht erlaubt hat, dieses ganze Magazin zu füllen und ich mich an diese begrenzte Seitenzahl halten muss, habe ich beschlossen, mich auf französische Häuser zu konzentrieren, die ausschließlich Uhren herstellen, und nicht andere (Luxus-)Produkte.
Daher werden für diesen Artikel nun folgende Marken gestrichen (in der Reihenfolge ihres Bekanntheitsgrades): Cartier, Van Cleef & Arpels, Chanel, Hermès, Dior, Louis Vuitton, Poiray und Boucheron. Und da die börsennotierte Swatch Group (die derzeitige Eigentümerin von Breguet) Schweizerin ist und alle Breguet-Uhren jetzt in der Schweiz hergestellt werden, lasse ich sie hier ebenfalls außer Acht.
Da es immer noch zu viele französische Marken gibt, beschränke ich mich auf eine Top 10 der Uhrenmarken, die so viel wie möglich in Frankreich produzieren und derzeit sehr im Interesse von Uhrensammlern und -liebhabern sind. Wohlgemerkt, das ist also kein vollständiger Überblick. Denn es gibt noch viele andere Marken, auf die ich jetzt nicht eingehen werde, die aber sicher auch eine Entdeckung wert sind. In alphabetischer Reihenfolge: Adhucx, Akrone, Anatole, Airain, Awake, Buci, B.R.M., Charlie, Dodane, Fugue, Lebois & Co, L. Leroy, Tischuhrmacher Maison Alcée, Merci Instruments, Michel Herbelin, Ralf Tech, Semper &, Serica, Semper & Adhuc, SYE, Thomas Karbiche, Wanduhrmacher Utinam und Yonger & Bresson.
Vielleicht wird also eines Tages ein Teil II folgen.
Die Top 10 sind danach geordnet, wie viel eine Marke tatsächlich in Frankreich produziert.
Pequignet
Mitten im Sturm der Quarzkrise, genauer gesagt 1973, gründete der französische Schmuck- und Uhrendesigner Emile Pequignet in Morteau im französischen Jura seine eigene Uhrenmarke. Es war der -lange- Vorlauf zu etwas sehr Schönem, denn 2011 lancierte er als erstes französisches Uhrenhaus ein völlig neues uuwerk-Kaliber, das komplett in Frankreich entwickelt und produziert wurde. Diese Nachricht wurde im ganzen Land mit großer Begeisterung und Stolz aufgenommen. Die Franzosen waren zurück!
Yema
Die wohl bekanntesten französischen Uhrenmarken des letzten Jahrhunderts sind Lip und Yema. Sammler von Vintage-Uhren kennen zweifellos die Modellnamen Yachtingraf, Superman und Wristmaster. In Morteau gründete der Uhrmacher Henry-Louis Belmont seine eigene Marke 25 Jahre vor Emile Pequignet: Yema. Diese Marke machte sich in den 1950er Jahren mit Taucheruhren einen Namen. Sie war auch eine der ersten, die Automatikkaliber einsetzte. In der Hochphase der 1960er Jahre exportierte sie rund 400.000 Uhren in 55 verschiedene Länder.
Zu Beginn der Quarzkrise bemühte sich Yema unter der Leitung des inzwischen sehr berühmten Uhrmachers Richard Mille noch um Innovationen, aber vergeblich. Für die Franzosen war es bitter, dass ausgerechnet Seiko das Unternehmen 1986 übernahm, denn dieser japanische Mischkonzern war mitverantwortlich für die Revolution in der Uhrenindustrie, die heute als Quarzkrise bezeichnet wird. Auch unter der Führung der Japaner gelang es Yema nicht, an seine Glanzzeiten anzuknüpfen. Im Jahr 2021 ernannten sie Louis-Éric Beckensteiner zum Geschäftsführer, der das Unternehmen 2004 übernahm und Yema wieder zu einem echten französischen Unternehmen machte.
Zur Erleichterung vieler. Fünf Jahre später übernimmt die französische Familie Bôle das Unternehmen mit sehr ehrgeizigen Plänen: Sie will Yema wieder zum größten Uhrenhersteller Frankreichs machen.
Im Jahr 2013 lancierten sie ihr erstes modernes Manufakturkaliber MBP1000, gefolgt von ihren eigenen Kalibern YEMA2000 und YEMA3000 im Jahr 2021. Doch damit nicht genug, denn jetzt ging es erst richtig los: Zwei Jahre später lancierten sie eine sogenannte Uhrenplattform namens "Calibre Manufacture Morteau" (CMM) mit drei Kalibern: CMM.20 mit Mircro-Rotor - die erste französische Version überhaupt -, gefolgt von CMM.30 mit Tourbillon-Komplikation und CMM.10, einer Chronometer-Version mit drei Zeigern.
Lippen
157 Jahre nach seiner Gründung ist Lip wieder auf der Bildfläche erschienen und hat im vergangenen Jahr ein eigenes Kaliber auf den Markt gebracht: eine Nachbildung des legendären länglichen Kalibers T18 aus den 1930er Jahren.
Viele kennen die in Besançon ansässige Marke für ihre einzigartigen und sehr unterschiedlichen Designs aus den 1960er, 1970er und 1980er Jahren. Liebhaber von Vintage-Uhren aus den 1950er Jahren wissen auch, dass Lip die erste elektronische Uhr entwickelt hat, die am 19. März 1952 angemeldet wurde. Leider gelang es ihnen nicht, dieses Projekt rentabel zu machen. Es erwies sich als Vorbote finanzieller Probleme, die das 1867 von dem jüdischen Geschäftsmann Emmanuel Lipman gegründete Unternehmen 1973 den Kopf kosten sollten. Und das mitten in der Quarzkrise, während Lip mehr als zwei Jahrzehnte in Forschung und Entwicklung investiert hatte, um eine elektronische Uhr auf den Markt zu bringen - ohne Erfolg.
Nach mehreren Neugründungsversuchen und ebenso vielen Streiks der Mitarbeiter können wir sagen, dass die jüngste Übernahme durch Pierre-Alain Bérard im Jahr 2014 die erfolgreichste ist. Denn er fertigt nun mit über 100 Mitarbeitern sowohl elektronische als auch mechanische Lip-Uhren im französischen Uhrenmekka.
Bell & Ross
Lustigerweise hat die französische Marke Bell & Ross nie eine Uhr in Frankreich hergestellt, wird aber von den Franzosen als die Marke geschätzt, die es mit ikonischen Namen wie Breitling, TAG Heuer und Rolex aufnehmen kann. Im Jahr 1992 gründeten zwei Jugendfreunde - der Designer Bruno Belamich (Bell) und der Geschäftsmann Carlos A. Rosillo (Ross) - eine Marke, die Fliegeruhren herstellen sollte, die sowohl schön als auch gut ablesbar sind. Bemerkenswert ist, dass sie dann nach Deutschland übergelaufen sind, um sich von Sinn bei der Produktion ihrer Uhren helfen zu lassen (googeln Sie einfach beide Markennamen). Wie interessant wäre es, wenn die beiden erfolgreichen Marken heute eine Retro-Version dieser ersten Uhren herausbringen würden, als Zusammenarbeit!
1998 wurde Bell & Ross viel französischer, als ein Modehaus mit uhrmacherischen Ambitionen eine Beteiligung an der Marke erwarb. Im Laufe der Jahre lief die Partnerschaft mit Sinn aus, bis 2002 die gesamte Produktion in die Schweizer Produktionsstätten von Chanel in La Chaux-de-Fonds verlegt wurde.
Der eigentliche Durchbruch gelang den Parisern, als sie mit der BR-03 eine quadratische Uhr auf den Markt brachten, die aussieht, als sei sie einem Cockpit entnommen worden. Heute ist diese Uhr ihr Flaggschiff.
Trilobe
Zusammen mit der Marke Alto ist Trilobe vielleicht eine der bekanntesten Marken der Haute Horlogerie, die Uhren in Serie produziert. Der aus dem Finanzwesen stammende Gautier Massonneau beschloss 2013, einen anderen Weg einzuschlagen und, getrieben von einer philosophischen Vision, Zeitinstrumente herzustellen, die die Zeit auf eine andere Weise darstellen, als wir es gewohnt sind. Nach fünf Jahren Vorbereitungszeit begann er seine Reise als Unternehmer und präsentierte hochwertige mechanische Uhren ohne Zeiger. In Zusammenarbeit mit den Schweizer Konstrukteuren von Le Cercle des Horlogers aus La Chaux-de-Fonds entwickelt Trilobe auch sein eigenes Kaliber.
Stausee
Ein weiterer Finanzmann, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Reservoir wurde 2015 von François Moreau gegründet, der seine Leidenschaft für Autos und Zeitmesser in Armbanduhren verewigte, die alle über eine doppelte Komplikation verfügen: einen retrograden Zeiger für die Minuten und eine springende Stunde für die Anzeige der Stunden. Den größten Erfolg hat die französische Marke jedoch mit ihren Uhren mit Zeichentrickfiguren, bei denen der Arm der Hauptfigur als Minutenzeiger fungiert.
Ostsee
Ein weiterer französischer Autoenthusiast, der Mitte der 1910er Jahre die Laufbahn wechselte und mit der Herstellung von Uhren begann. Etienne Malec gründete Baltic im Jahr 2016. Er hat eine Leidenschaft für alles, was mit Vintage zu tun hat, mit einem starken Fokus auf die 1950er und 1960er Jahre, und beschließt, Uhren herzustellen, die relativ günstig sind, aber ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. Das Ergebnis sind Uhren, die als Hommage an die Calatravas von Patek Philippe und die Chronographen von Heuer aus dieser illustren Designperiode gesehen werden können. Es überrascht nicht, dass Malecs Lieblingsauto ein alter Porsche aus derselben Zeit ist.
Hegid
Wer erinnert sich noch an das modulare System der französischen Marke Japy aus den 1990er Jahren? Hegid vertreibt jetzt ähnliche Uhren. 2015 beschloss Henrick Gauche aus Frustration darüber, dass er seine eigene Uhr nicht zusammenstellen konnte, eine neue Marke zu gründen. Bei Hegid kann man nun aus vierzehn Uhrwerk-/Zifferblattmodulen, vierzehn Arten von Gehäusen, in die die Module eingeklickt werden können, und mindestens einundzwanzig verschiedenen Armbändern wählen, so dass mindestens 4.116 verschiedene Kombinationen möglich sind. Und das alles natürlich mit echtem französischen Flair.
Beaublue
Man könnte meinen, dass man nach der Lektüre von neun innovativen französischen Uhrenmarken schon so ziemlich alles gesehen hat. Aber der Designer Nicolas Pham sah das nicht so, denn 2017 beschloss der Pariser Autodesigner, seine eigene Uhrenmarke zu gründen. Charakteristische DNA im Design seiner Uhren sind Zeiger in Form von großen Kreisen. Das erinnert an Uhren aus den 1950er Jahren. Und das sehen wir auch bei den Copernicus-Modellen der russischen Marke Raketa. Was ganz besonders ist, ist das einzigartige Gehäuse mit den ausgehöhlten Seiten und Gehäusefüßen. Ein echtes französisches Designobjekt.
Theo Auffret ist eine Reinkarnation von Louis-Abraham Breguet
Auffret Paris
Das Beste kommt zum Schluss, sagen die Briten. Daher kann ich die jüngste "Reinkarnation von Louis-Abraham Breguet" in Form des jungen französischen Uhrmachermeisters Theo Auffret unmöglich ignorieren. Da der frühere "Breguet des 20. Jahrhunderts", der Franzose François-Paul Journe, seine Werkstatt F.P. Journe in die Schweiz verlegt hat, ist dies nun eine Schweizer Marke. Und so richten sich nun alle französischen Augen auf das Atelier Auffret Paris. 2018 gewann er den von FHH & F.P. Journe gesponserten "Young Talent Competition". Seitdem ist er ein aufsteigender Stern, der bereits mit Meistern wie Roger Smith, François-Paul Journe und Rexhep Rexhepi verglichen wird, zumal er auch so viel wie möglich selbst herstellt. Kurzum, ein Künstler, den man im Auge behalten sollte. Vive la France!
Alon Ben Joseph ist u.a. Journalist und Co-Moderator des Watch-Podcasts Die Real Time Show.