Der US-amerikanische Künstler Gregory Crewdson (geb. 1962) arbeitet im Museumsstil, kinematographisch Fotografien, die sehr detailliert inszeniert sind. Kürzlich wurde seine neueste Serie Abendseite präsentiert in der Galerie Reflex Amsterdam.
Interview: Kirstin Hanssen
Die Handschrift seiner Fotografien ist unverkennbar. Einzelbild-Filme nennt er sie selbst. Der Fotograf Gregory Crewdson geht an seine Fotos heran wie ein Filmregisseur. Mit einem großen Team baut er Kulissen, um Szenen zu visualisieren, die er oft lange im Voraus konzipiert hat. Als Gentlemen's Watch mit Crewdson spricht, befindet er sich gerade in der Vorproduktionsphase einer neuen Serie. Das beginnt mit stundenlangem Herumfahren und Auskundschaften von Drehorten. "Drehorte sind die Grundlage meiner Arbeit", erklärt er. "Ich bin in Brooklyn, New York, aufgewachsen. Meine Familie hatte eine Blockhütte in Massachusetts, und in meiner Kindheit sind wir jeden Sommer dorthin gefahren. Ich glaube, in dieser Zeit wurde meine Faszination für Vorstädte, aber vielleicht auch für das Alltägliche und Anonyme geboren.
Die Spots, die für Abendseite befinden sich in zwei benachbarten US-Vorstädten. Viel zu reisen ist schließlich keine Option, wenn man mit einem großen Team arbeitet. Außerdem konzentriere ich mich als Künstler gerne auf einen bestimmten Bereich und gehe dort sozusagen in die Tiefe. Wir haben diese Serie in sechs Wochen produziert."
Abgeschieden von der Welt
Unter Abendseite - bestehend aus zwanzig digitalen Pigmentdrucken mit einer Größe von genau 87,6 x 116,8 cm - erforscht Crewdson Momente der Kontemplation in den Zwängen des Alltags. Die Figuren auf den Fotografien sind spärlich und oft durch Schaufenster, in Spiegelreflexen oder inmitten ihrer täglichen Routine zu sehen. Zum Beispiel in einem Schönheitssalon oder auf der Straße. Während in früheren Arbeiten die Farbe als Schönheitsebene diente, entschied sich Crewdson dieses Mal für eine monochrome Ausarbeitung der Bilder. Schwarz und Weiß, mit anderen Worten. Und viele Grauschattierungen. "Das macht die Bilder intimer und besonders still. Ich liebe die Geschichte der Schwarz-Weiß-Fotografie und der Film noir in dem sich alles um die richtige Beleuchtung dreht. Das kann man in dieser Serie sehen".
Die authentischen Bilder von Gregory Crewdson sind nicht leicht verdaulich. Daher zwingen sie zu einer genaueren Betrachtung und Reflexion. Wer sich auf die Fotografien einlässt, stellt fest, dass es an einer gemeinsamen Erzählung fehlt. Dennoch weisen sie einen starken gemeinsamen Nenner auf: eine Atmosphäre der Einsamkeit mit einem unbehaglichen Unterton von Angst und Abgeschiedenheit. Die Personen scheinen sich in einer "Zwischenzone" zu befinden. Worauf warten sie? Oder verarbeiten sie etwas, das gerade passiert ist? Als Zuschauer wird man mit diesen Fragen allein gelassen und kann seiner Fantasie freien Lauf lassen. Genau das ist die Absicht des Schöpfers. Er fügt hinzu: "Meine Arbeit ist nicht per se autobiografisch, aber sie enthält psychologische Elemente, die ich wiedererkenne. Die Entfremdung ist Teil des Berufs des Fotografen. Einsamkeit, Versetzung, Entfremdung... Beim Fotografieren, beim Blick durch den Sucher, fühle ich mich von der Welt isoliert. Es geht auch darum, sich mit etwas zu verbinden, das größer ist als ich selbst. Das ist der Grund, warum ich fotografiere. Für diesen einen erfüllenden Moment, in dem die Welt eine Rolle spielt."
Hoffnung und Erlösung
Die Dokumentarfilme Gregory Crewdson: Kurze Begegnungen (Ben Shapiro, 2012) und Dort, aber nicht dort (Juliane Hiam, 2017) zeigen die intensive Arbeitsweise des Fotografen und verraten, dass die von ihm aufgenommenen Szenen komplett inszeniert sind. "Dennoch können wir bei der Produktion nicht alles beeinflussen. Die Wetterbedingungen zum Beispiel. Manchmal braucht man Schnee, aber der ist schon geschmolzen. Dann arbeiten wir mit Kunstschnee oder bringen echten Schnee an den Drehort. In jedem Foto steckt etwas Unerwartetes. So ist das eben mit der Fotografie. Hat die Natur einen symbolischen Wert in meiner Arbeit? Die Natur ist das Gegenteil von Kultur und etwas, über das wir, wie gesagt, keine Kontrolle haben. Natürliche Elemente, wie zum Beispiel Bäume oder Blumen, stehen in meiner Arbeit für Hoffnung und Erlösung. Ich liebe die Spannung zwischen der Natur und den vom Menschen geschaffenen Strukturen und finde es interessant, dies zu reflektieren. Deshalb sind die Straßen auf meinen Fotos fast immer nass, als ob es gerade geregnet hätte. Auch das ist Natur. In Wirklichkeit ist es aber oft die örtliche Feuerwehr, die das Wasser zur Verfügung stellt.
Religiöser Schwimmer
Gregory Crewdson ist seit mehr als 30 Jahren als bildender Künstler tätig. Seine Werke hängen in führenden Museen auf der ganzen Welt, darunter das MoMA in New York, das Victoria & Albert Museum in London und das Fotomuseum Den Haag. Er wurde an der SUNY Purchase und der Yale School of Art ausgebildet, an der er auch eine Professur für Fotografie innehat. "Ich arbeite mit zentralen Themen, mit einer Geschichte, die sich entwickelt hat, als ich als Künstler reifte. Das ist es auch, was ich meinen Studenten vermittle. Jeder hat eine bestimmte Art, die Welt zu betrachten. Finde deine Geschichte und entdecke, wie du sie in der Fotografie in eine physische Form bringen kannst. Kenne deine Grenzen und deine Stärken. Ich entscheide mich für bestimmte Inspirationen, Filme, Argumente, Motivationen und kämpfe immer wieder die "Kämpfe" aus, die während des Arbeitsprozesses entstehen. Aber ich ändere mich nicht wirklich. Als Künstler kann man sich nicht von sich selbst entfernen. Daher ist die zentrale Erzählung sozusagen unerschütterlich.
Es ist fast unvorstellbar, aber neben der Fotografie hat Crewdson noch eine andere Leidenschaft - das Schwimmen im offenen Wasser. "Ich sage immer, ich bin ein religiöser Schwimmer. Ich muss einfach jeden Tag schwimmen. Nein, nicht am frühen Morgen, aber normalerweise bis zum Mittag. Vorher brauche ich aber einen Kaffee. Schwimmen ist eine Art von Meditation. Es hilft mir, für eine Weile aus dem Kopf zu kommen und nicht an Bilder zu denken."
Gregory Crewdson wird in den Niederlanden von der Galerie Reflex Amsterdam vertreten.
STYLE PASS GREGORY CREWDSON
Kamera: Phase Eins
Direktor: Alfred Hitchcock
Künstler: Johannes Vermeer
Stadt: Great Barrington, Massachusetts (USA)
Beobachten: Garmin Smartwatch zum Schwimmen
Transport: Volvo XC90


